Der MondMarcels Sagen und Erzählungen aus dem Harz



Kerzenschein

Evergodesrode, Volkmarstein und Michaelstein

E inige hundert Jahre vor der Anlegung des Stiftes Michaelstein soll über demselben in dem rauhen großen Harzwalde auf einer ziemlich hohen Klippen, unter welcher ein schöner heller Brunnen herfür quillet, ein frommer Einsiedler oder sogenannter Klausner, derer damals sich viele in denen rauhen Gebirgen aufhielten und ein strenges Leben in Fasten und Beten führeten, gelebet und daselbsten eine kleine Wohn- und Bet-Klause vor sich erbauet, auch mit Namen Volkmar geheißen haben. Weiln er nun nach damaliger Zeitbeschaffenheit an solchem Orte gar einen ernsten und stillen Wandel geführet, habe er dadurch verursachet, daß man nicht allein ihn den heiligen Volkmar benennet, sondern, seiner Heiligkeit sich teilhaftig zu machen, haben sich auch unterschiedene stille Brüder zu ihm begeben und gleiche Lebensart mit ihm ungetreten, daß sie nach ihrer damaligen Erkenntnis fleißig in ihren selbstgemachten Klausen und Höhlen gebetet, und mit weniger Speise, so ihnen entweder von gutherzigen Leuten zugeschicket worden, oder sie sich selbsten in der Wildnis bereitet, sich vergnüget, darbei aber auch einige sonst gelernte Handarbeit zu ihrer besseren Erhaltung getrieben, und fürnemlich in einer nahe bei ihrer Wohnung eröffneten Marmorgruben die schönsten Marmelsteine gebrochen und an andere überlassen haben. Welcher Steinbruch nachmals eingegangen, daß man wenige Merkmale anitzo davon finden kann. Hierdurch haben diese Brüder und Einsiedler mit ihrem sogenannten heiligen Volkmar sowohl Gelegenheit als Mittel bekommen, zu Erweckung ihre mehrern Andacht eine neue Kapelle oder kleine Kirche an gedachten Ort bei der Klause dieses ihres Vorgängers, so man noch St. Volkmarstein in dem Harze nennet, aufzuführen, in welcher sie insonderheit, weiln sie einige Reliquien von der Jungfer Marien und deren Begräbnis in Besitz zu haben vermeinten, zu Ehren dieser Mutter Gottes ihr ein Begräbnis oder Grabmal, so das Grab Mariae nachgehends genennet, und in solchen die angegebenen Reliquien geleget worden, aufgerichtet, und mit vieler schöner Arbeit versehen haben, und soll dieses geschehen sein zur Zeit Kaiser Heinrich des Voglers und seines Sohnes Kaiser Ottonis des Großen, dahero des erstern Gemahlin, die Kaiserin Mechtildis, so zur geistlichen Stiftung und Schenkung sehr geneigt, auch damals das herrliche Stift in Quedlinburg, so nur etwa zwei Meilen unter der Michaelsteinischen Gegend lieget, aufrichtete, zu solcher im Harz erbaueten Kirchen besagtem Volkmar und seinen Brüdern ihr ohnweit davon gelegenes Gut zu Kepferungsrode, so nachmals von dem gemeinen Manne Kipperode genennet worden, nebst andern Stücken geschenket, welche sämtlich hierauf Kaiser Otto I. im Jahr 956 dem damals angelegten Stifte inkorporieret hat.

Man setzet auch ferner hierzu, daß nach dem Absterben des St. Volkmari durch die obgedachten Reliquien bei dem gemeldeten Grabe der Jungfrau Marien sich unterschiedene Wunder, insonderheit durch Kurierung vieler Krankheiten, haben spüren lassen, womit die anwesenden Einsiedler und Klerici viel Geldes gelöset, und selbige also diesen Ort über zweihundert Jahr bewohnet. Als aber in denen folgenden Kriegeszeiten durch die Räuber und Buschklöpper der Harzwald sehr unsicher gemacht und folglich auch diese wenige geistliche Brüder auf dem St. Volkmarsteine dadurch höchst verunruhiget, sie aber zum Teil auch müde wurden, in so entlegenem Walde auf hohen, rauhen und unfruchtbaren Klippen länger zu wohnen, als wurde zu Anfang des zwölften Seculi Graf Burchard zu Blankenburg bewogen, sein zwischen Blankenburg und Heimburg vor dem Harzwalde gelegenes Gut, Evergodesrode damals genannt, vorgedachten Harz-Einsiedlern von St. Volkmar nicht allein zur sichern Wohnung einzuräumen, sondern ihnen auch daselbst eine Kirche zu ihrem Gottesdienst aufzubauen, welche hernach von dem Bischof zu Halberstadt, gleichwie die erste zu St. Volkmar, in die Ehre des Erzengels Michaelis eingeweihet, und der ganze Ort und vorgenanntes Gut Evergodesrode, Michaelstein oder Michelstein genennet worden. Besagter Graf Burchard von Blankenburg begab sich auch hierauf gänzlich seiner Regierung, und ward ein Konversus bei diesen Brüdern in der Michelsteinischen Kirchen, schenkte aber an solche noch zuvor den ganzen Stoffenberg bei der lütchen Lauenburg, beredete auch die damals lebende Abtissin in Quedlinburg, namens Beatrix II. , daß sie unterschiedene obberührte, zu ihrem Stift gehörige Güter an die Kirche zu Michelstein übergab, damit die angelangten Volkmarischen Brüder davon desto austräglicher und besser leben könnten. Besagte Abtissin erlangte aber auch damit bei dem damaligen Papste Innocentio II. , daß sie Anno 1139 nächst mehreren andern Stücken die Konfirmation über diese Michelsteinischen Güter erhielt, wobei aber zu behalten, daß damals dieses Michelstein noch nicht zu einem ordentlichen Klosterstifte vor einige Regulier-Mönche angeleget war, sondern es lebten nur einige wenige Irregulier-Geistliche und Einsiedler, so von St. Volkmar gekommen, bei der neugebaueten Michaliskirchen, welche ihre Wohnungen in denen daselbst befindlichen Häusern des gewesenen gräflichen Gutes Evergodesrode genommen, und den Kirchendienst dabei verrichteten; jedoch ist bald darauf dies Michaelstein oder Michelstein zu einem Kloster vor Cisterienser-Mönche aus dem alten Kamperstifte, so von Aulesburg durch die Stifter anhero berufen, angeleget worden.

Evergodesrode, Volkmarstein und Michaelstein


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